Rede des Rektors der Tu Dresden
Prof. Achim Mehlhorn
anlässlich der unterzeichnung der Vereinbarung über den gemeinsamen studiengang im Fach Soziologie

Trento, 10. 11. 1998 16.00 Uhr


Magnifizenz, sehr geehrter Herr Kollege Egidi,
Spectabiles,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der Weg aus Deutschland über die Alpenpässe nach Italien hat in vielen Jahrhunderten immer wieder seine Faszination gehabt und ist für Geschichte und Kunst meines Landes von ungeheurer Bedeutung.
Dem Büßergang des deutschen Kaisers Heinrich IV. 1077 zur Felsenburg Canossa, um von Papst Gregor VII. Erlösung vom päpstlichen Bann zu erlangen, folgte 7 Jahrhunderte später Goethe, um sich von den Verstrickungen eines kleinstaaterischen deutschen Hofes zu erlösen und fand in Ihrem Land den weiten Blick und seine eigentliche Größe und Universalität. Dies nicht zuletzt durch das Studium der Werke des Dresdner Bibliothekars Johann Joachim Winckelmann, der mit seinem Werk "Geschichte der Kunst des Altertums" zum Begründer der modernen Archäologie wurde. Im 19. Jahrhundert pilgerte eine ganze Generation romantischer Maler über die Alpen nach Italien, um jenes, wie der Dresdner Maler Ludwig Richter schrieb "neue Licht an seiner Quelle zu schauen".
"Es war," so schrieb Ludwig Richter weiter, "als strömte ein wunderbares Pulsieren aus der so fernen Alma Roma in alle jungen Herzen und von einer Gewalt, einem begeisternden Zug wurden sie ergriffen, wie die Wandervögel, wenn der Frühling kommt."
Aber auch der Weg über die Pässe nach Norden hat speziell in unserer Universitätsstadt Dresden bleibende Spuren hinterlassen. Gaetano Chiaveris Kathedrale am Elbufer prägt unsere Heimatstadt ebenso, wie die Stadtansichten Canalettos, die in unserer Gemäldegalerie besichtigt werden können. Das auch heute reiche Dresdner Musikleben ist seit vielen Jahrhunderten am italienischen Quell gespeist und inspiriert worden.
Wir kommen zeitgemäßer, wenn auch ein wenig konservativ motorisiert über die Alpen zu Ihnen, um eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit unserer Universitäten und die Einrichtung eines deutsch-italienischen Studienganges im Fach Soziologie abzuschließen. Dies bewegt mich tief in dieser festlichen Stunde, und ich danke Ihnen, Magnifizenz und Ihrer Universität für die überaus freundliche Einladung und für den festlichen Rahmen unserer Feier.
Mit der Einführung des gemeinsamen Studienganges Soziologie finden die Universität Trento und die TU Dresden eine mögliche und auch überzeugende Antwort auf die Herausforderung, die ein zusammenwachsendes Europa auch für die Universitäten unseres Kontinents bereit- hält. Wir gehen über zur Ausbildung von Absolventen, die sich nicht mehr allein in den jeweiligen Heimatländern beruflich etablieren wollen, sondern die ganz bewußt und von vornherein ihre Akzente kontinental setzen und damit den Radius ihrer Bewegung entscheidend vergrößern. Ein gemeinsames Europa bezieht seinen kulturellen und kreativen Reichtum aus seiner Vielfalt, aus den unvergänglichen kulturellen Leistungen seiner Nationen und Regionen, die sich gegenseitig befruchten, ohne sich aufzugeben oder zu verschmelzen. Einheit in Vielfalt wird Europas Stärke ausmachen. Die Vielfalt wird diesem Kontinent Reichtum und immer neue Überlebensmöglichkeiten schaffen.
So ist es auch mit den europäischen Universitäten. Deren Jahrhunderte alte Tradition hat eine Vielfalt von Möglichkeiten erschlossen, Bildung und Ausbildung für die junge Generation zu ermöglichen. Diese Ausbildungs-systeme stehen nebeneinander. Jedes hat seine Vorzüge und Nachteile. Aber es gibt keine Möglichkeit und keinen Anlaß, ein gleichgeschaltetes Supersystem zu schaffen. Es ist vielmehr wichtig, daß wir unsere verschiedenen Wege des Bildungserwerbs kennen, sie unseren jungen Studierenden vermitteln und ihre Ergebnisse gegenseitig akzeptieren. Dazu sind einige Wege gefunden worden, die die TU Dresden mit Initiative und Entschlossenheit betreten hat.
Jede Fakultät in Dresden hat ihre Studiengänge dem europäischen Credit-Transfer-System unterworfen, so daß Gastaufenthalte der Studierenden in Dresden oder an einer ausgewählten europäischen Universität mit Studien- und Prüfungsergebnissen enden können, die die jeweilig andere Seite ohne Verzögerung als adäquat zu Leistungsmodulen der eigenen Einrichtung anerkennen kann.
Die Ingenieurstudiengänge haben die Option geschaffen, zweistufige Curricula mit einem B.Sc-Grad nach 7 Semestern und einem M.Sc-Grad nach weiteren 4 Semestern einzuführen. Damit sind nicht nur kompatible Anschlußstellen für deutsche Studenten geschaffen, die ihr Studium im Ausland fortsetzen möchten, sondern auch für Ausländer, die als Bachelors nach Dresden kommen und dort weiter studieren wollen.
Die Zahl internationaler Masterkurse steigt an. Wir bemühen uns, durch ein breit organisiertes Angebot von Fremdsprachen unsere Studenten auf ein Teilstudium im Ausland vorzubereiten. Ebenso ist die Möglichkeit studienbegleitender Deutsch-Kurse in Dresden immer weiter ausgebaut worden.
Die Form des Doppeldiploms indes betrachte ich als die höchste und konsequenteste Form internationaler Zusammenarbeit von Universitäten.
Im Rahmen dieses Modells werden Soziologiestudenten aus Trento für 4, mindestens aber 3 Semester nach Dresden kommen, um am Studienbetrieb teilzunehmen. Das Gleiche bietet die Universität Trento den Studenten aus Dresden an. Die in dieser Zeit abgelegten Prüfungen werden von der jeweils anderen Institution voll anerkannt. Die Diplomarbeit kann für jeden der Austauschstudenten entweder an der Heimat- oder an der Gastuniversität stattfinden. Bei bestandener Abschlußprüfung erhalten die Absolventen ein zweisprachiges Prü-fungszeugnis und eine Diplomurkunde beider Universitäten.
Voraussetzung für ein solches Gaststudium sind natürlich gute Kenntnisse in der jeweils anderen Landessprache. Wir haben in Dresden bereits Kurse in italienischer Sprache eingerichtet und bieten auch unseren Gästen aus Trento studienbegleitenden Deutschunterricht an.
Die TU Dresden wird weiterhin alles tun, um unseren italienischen Gästen bei der Beschaffung eines Wohnheimplatzes und bei den Schritten der Eingewöhnung einer zunächst fremden Universität behilflich zu sein.
Als eine Universität, die 50 Jahre lang hinter einem "eisernen Vorhang" lag, freuen wir uns über unsere neue Freiheit und auf unsere jungen Gäste.
Die Universität Trento - das sei in dieser festlichen Stunde ausdrücklich hervorgehoben - hat in dieser Frage die Initiative gehabt. Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung vor zwei Jahren, lieber Herr Kollege Scaglia und ebenso an den Vertragsabschluß mit Sachsen in Freiberg im letzten Jahr, lieber Herr Kollege Egidi. Ich bin überaus glücklich, daß die vereinbarten Ziele so zügig in die Tat umgesetzt werden konnten, und freue mich dabei auch über die Mitarbeit unserer Dresdner Kollegen, besonders über die von Ihnen, lieber Herr Kollege Rehberg.
Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen unseren Einrichtungen sind aber damit nicht erschöpft. Mit mir sind Frau Kollegin Marx und Herr Kollege Schaller von der Fakultät Sprach- und Literaturwissenschaft mitgekommen, um Möglichkeiten gemeinsamer Ausbildung zu erkunden.
Erfolge bei der gemeinsamen Ausbildung von deutschen und italienischen Studenten an der jeweils anderen Universität wird aber weitere Folgen haben: Wir schaffen mit dieser bilingualen Ausbildung auch die Voraussetzungen für gemeinsame Forschungsprojekte, die durch die Europäische Union unterstützt werden könnten.
Magnifizenz Egidi, ich möchte Ihnen vorschlagen, daß wir den Fortgang der Beziehungen unserer beiden Universitäten sehr ernsthaft beobachten und nach all unseren Kräften fördern. Ich wäre einverstanden, wenn wir uns in angemessenen Zeitabständen treffen und die Entwicklung unserer beiden Institutionen weiter anzuregen und zu entwickeln suchen. Wir sollten auch sehr konkrete Absprachen gemeinsam mit unseren Kollegen der Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie treffen, wie die nunmehr ins Werk gesetzten gemeinsamen Studiengänge im täglichen universitären Leben funktionieren können. Es gilt jetzt, das vertraglich Vereinbarte zu sichern und zu normalisieren und dann weitere Schritte zu tun.
Die feierliche Unterzeichnung unserer Vereinbarung, die wir beide dann vornehmen wollen, erfüllt mich mit großer Freude und Erwartung. Wir leisten damit einen kleinen Beitrag dazu, daß die Straßen über die Alpenpässe auch zukünftig reich begangen werden von einer jungen Generation, die internationale Zusammenarbeit als ein unersetzliches Element ihres friedlichen Lebens begreift.
Im Namen der deutschen Delegation danke ich Ihnen für Ihr Kommen, meine Damen und Herren, und wünsche unseren beiden Universitäten ein gutes, gemeinsames Gedeihen.